Golf von Mexiko
Unverschlossene Bohrlöcher: Gefährliche Stoffe von 14.000 alten Öl- und Gasquellen fließen ins Meer

 

Aktualisiert am 09.05.2023, 16:15 Uhr
Ölbohrinsel im Golf von Mexiko

 

deepwater-horizon movie

 

 

Eine Ölbohrinsel im Golf von Mexiko. Hier sind sehr viele inaktive Bohrlöcher

nicht richitg verschlossen worden. © imago stock&people

 


Aus alten Erdöl- und Erdgas-Bohrlöchern können über Jahrzehnte Methan und giftige Stoffe strömen. Eigentlich sollen die Quellen bei Stilllegung gut versiegelt werden - besonders eifrig ist zumindest die US-Öl- und Gasindustrie dabei offenbar nicht.

 

Mehr zum Thema Klimakrise

Rund inaktive 14.000 Erdöl- und Erdgas-Bohrlöcher sind allein im Golf von Mexiko und an den Küsten der angrenzenden Bundesstaaten der USA noch nicht nachhaltig verschlossen worden. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung. Aus den Quellen können Öl und Gas in die Umwelt gelangen, wobei die Folgen umso gravierender sind, je näher die Quellen an der Küste liegen. Die Studie einer Forschergruppe um Mark Agerton von der University of California in Davis (Kalifornien, USA) ist in der Fachzeitschrift "Nature Energy" erschienen. Die Kosten für das Verschließen allein dieser Quellen könnten bei rund 30 Milliarden Dollar (27,18 Milliarden Euro) liegen, haben die Wissenschaftler errechnet.
Klimakiller Methan wird in großen Mengen freigesetzt

Wenn ein Öl- oder Gasbohrloch aus dem Betrieb genommen wird, muss es sorgfältig und dauerhaft verschlossen werden, damit keine giftigen Substanzen, der Klimakiller Methan oder andere gefährlichen Stoffe freigesetzt werden. Gestänge und Tanks müssen abgebaut, der Boden in der Umgebung oft saniert werden. In den USA gibt es Schätzungen zufolge allerdings rund drei Millionen nicht mehr genutzte, bisher aber höchstens sporadisch gesicherte Bohrlöcher. Ein Grund ist, dass erschöpfte Bohrlöcher vorgeblich nur temporär stillgelegt werden - anstehende Kosten werden so in die Zukunft verlagert, in der es das Unternehmen unter Umständen längst nicht mehr gibt.

Eine Studie hatte schon vor Jahren ergeben, dass aus nicht mehr genutzten Öl- und Gasbohrlöchern große Mengen Methan in die Atmosphäre entweichen. Messungen im US-Staat Pennsylvania zufolge sind verlassene Anlagen dort für bis zu sieben Prozent der menschlich bedingten Methan-Emissionen verantwortlich, wie ein Team um Mary Chang von der Princeton University in den "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) berichtete. Methan (CH4) ist nach Kohlendioxid (CO2) der zweitwichtigste Treiber der Klimaerwärmung.

Sehen Sie auch: Hoher Methan-Ausstoß: Forscher suchen bei Reisanbau nach Alternativen
Gesetze gelten nicht für bankrotte Unternehmen

Zwar sind Öl- und Gas-Produzenten in den USA verpflichtet, aufgegebene Öl- und Gasquellen mit einem Pfropf aus Beton zu versehen. Das Verfahren wird "plug and abandonment" (P&A, Verpfropfen und Verlassen) genannt. Aber: "Wenn Produzenten mit sinkenden Einnahmen konfrontiert sind und nicht in der Lage sind, ihre P&A-Verpflichtungen zu erfüllen, können nicht verpfropfte Brunnen "verwaisen" und ein erhöhtes Umweltrisiko oder finanzielle Belastungen für die steuerzahlende Öffentlichkeit darstellen", schreiben die Studienautoren.

Unternehmen, die in bundesstaatlichen Gewässern der USA Öl und Gas fördern, müssen stillgelegte Bohrlöcher binnen zwei Jahren mit einem Betonpfropf verschließen. Der Staat Texas hält es in seinem Hoheitsgebiet genauso, im Staat Louisiana haben die Öl- und Gasproduzenten fünf Jahre Zeit. Dann können gerade kleinere Unternehmen schon bankrott sein. "Der Konkurs stellt einen potenziellen Weg für Unternehmen dar, um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zu umgehen", schreiben Agerton und Kollegen.
Verschließen der Bohrlöcher würde 30,2 Milliarden Dollar kosten

Die Informationen über Bohrlöcher trugen die Wissenschaftler aus Daten des Bureau of Safety and Environmental Enforcement, einer Behörde des Innenministeriums, sowie der Energieagenturen der Staaten Louisiana, Texas, Mississippi und Alabama zusammen. Zudem nutzten sie Daten des Energiemanagement-Softwareanbieters Enverus. Sie unterschieden in Bohrlöcher, die weniger und die mehr als 1.000 Fuß (304,8 Meter) unter der Wasseroberfläche liegen. Weniger als 1.000 Fuß tief liegen etwa 13.000 nicht verschlossene Bohrlöcher, rund 1.000 liegen tiefer.

In sehr tiefen Gewässern können keine Taucher tätig werden, stattdessen müssen ferngesteuerte Mini-U-Boote zum Einsatz kommen. Auch muss mit steigendem Druck teurerer Beton und allgemein teureres Material verwendet werden. So kommt es, dass das Verschließen der 1.000 tief liegenden Bohrlöcher voraussichtlich 22,7 Milliarden Dollar (20,56 Milliarden Euro) kosten würde, während für das Verpfropfen von Quellen in flacheren Meeresregionen "nur" 7,5 Milliarden Dollar (6,79 Milliarden Euro) veranschlagt werden.
88 Prozent der Bohrlöcher gehören großen Konzernen wie Shell

Nicht nur wegen der niedrigeren Kosten plädieren die Studienautoren dafür, bevorzugt das Verschließen der küstennahen Bohrlöcher anzugehen. "Im Vergleich zu Küstenökosystemen weist der offene Ozean eine geringere Nettoprimärproduktion, Biodiversität und Ökosystemleistungen pro Flächeneinheit auf", schreibt das Team um Agerton. Auch würden Öl und Gas aus Tiefseequellen stark verdünnt, zersetzt oder gebunden, bevor sie Küstenregionen erreichen könnten.

Zumindest die Forscher sind zuversichtlich, dass die meisten der berücksichtigten Bohrlöcher in absehbarer Zukunft verschlossen sein könnten: 88 Prozent der 14.000 Quellen gehören aktuell oder gehörten früher einem der ganz großen Energiekonzerne wie Shell, BP, Total, ExxonMobil, Chevron, ConocoPhillips und Eni. Die Studienautoren gehen davon aus, dass bei ihnen nicht die Gefahr eines Bankrotts besteht, wenn der Staat auf die Erfüllung der Pflichten drängt.

 

Quelle: web.de (Stefan Parsch/dpa/mak/tar)